Die inventur gehört zu den wichtigsten Pflichten jedes kaufmanns in Deutschland. Doch was genau verbirgt sich hinter diesem begriff, und warum ist die ordnungsgemäße bestandsaufnahme so entscheidend für den erfolg ihres unternehmens?
In diesem umfassenden leitfaden erfahren sie alles wissenswerte über die inventur definition, die verschiedenen inventurarten und inventurverfahren sowie die praktische durchführung. Von den rechtlichen grundlagen nach hgb bis hin zu modernen methoden wie der permanente inventur - wir erklären ihnen alle wichtigen aspekte, die sie als unternehmer oder rechnungswesen-experte kennen müssen.
Eine inventur bezeichnet die körperliche oder buchmäßige bestandsaufnahme aller vermögensgegenstände und schulden eines unternehmens zu einem bestimmten stichtag. Der begriff stammt aus dem lateinischen "invenire" (auffinden) und beschreibt den systematischen prozess der erfassung und bewertung des gesamten vermögens.
Es ist wichtig, den unterschied zwischen inventur und inventar zu verstehen: Die inventur ist der vorgang der bestandsaufnahme selbst, während das inventar das ergebnis dieser aufnahme darstellt - also das detaillierte bestandsverzeichnis aller erfassten vermögensgegenstände und schulden.
Die inventur erfolgt in der regel zum bilanzstichtag, meist am 31. dezember für unternehmen mit geschäftsjahr gleich kalenderjahr. Dieser stichtag dient als grundlage für die erstellung der bilanz und des jahresabschlusses.
Die bestandsaufnahme umfasst sämtliche vermögensgegenstände wie waren, rohstoffe, maschinen, forderungen und bargeld sowie alle verbindlichkeiten des unternehmens. Nur durch diese vollständige erfassung kann das tatsächliche reinvermögen ermittelt und mit den buchbeständen abgeglichen werden.
Die rechtliche grundlage für die inventur findet sich in § 240 hgb (handelsgesetzbuch). Dieser paragraph verpflichtet alle kaufleute zur jährlichen bestandsaufnahme. Die gesetzliche formulierung ist eindeutig: Jeder kaufmann hat zu beginn seines handelsgewerbes und für den schluss eines jeden geschäftsjahres ein inventar aufzustellen.
Diese verpflichtung gilt sowohl für die gründungsinventur bei geschäftsbeginn als auch für die jährliche inventur im rahmen des jahresabschlusses. § 240 abs 2 hgb präzisiert, dass das inventar die vermögensgegenstände und schulden nach art, menge und wert zu enthalten hat.
Neben den handelsrechtlichen bestimmungen regeln auch die §§ 140, 141 ao (abgabenordnung) die steuerlichen aspekte der inventur. Diese vorschriften stellen sicher, dass die inventur auch für steuerliche zwecke ordnungsgemäß durchgeführt wird.
Die inventarunterlagen müssen mindestens zehn jahre aufbewahrt werden. Diese aufbewahrungspflicht dient der nachprüfbarkeit durch finanzbehörden und wirtschaftsprüfer.
§ 241a hgb sieht ausnahmen für kleinere einzelkaufleute vor. Diese sind von der inventur befreit, wenn sie an zwei aufeinanderfolgenden bilanzstichtagen die folgenden grenzen nicht überschreiten:
Umsatzerlöse von 600.000 euro
Jahresüberschuss von 60.000 euro
Werden diese schwellenwerte überschritten, entsteht die verpflichtung zur inventur und buchführung.
Die inventur-pflicht betrifft verschiedene unternehmensformen unterschiedlich:
Buchführungspflichtige unternehmen müssen grundsätzlich eine inventur durchführen. Dazu gehören:
Kapitalgesellschaften (gmbh, ag, kg)
Personenhandelsgesellschaften (ohg, kg)
Einzelkaufleute oberhalb der in § 241a hgb definierten grenzen
Befreite unternehmer mit einnahmen-überschuss-rechnung (eür) sind von der regelmäßigen inventur befreit. Dies betrifft meist kleinere betriebe und freiberufler, die nicht zur doppelten buchführung verpflichtet sind.
Auch befreite unternehmer müssen jedoch bei geschäftsgründung (gründungsinventur) und geschäftsaufgabe (schlussinventur) eine bestandsaufnahme durchführen.
Die art des unternehmens bestimmt also, ob und in welchem umfang eine inventur erforderlich ist. Im regelfall müssen alle unternehmen mit doppelter buchführung jährlich eine vollständige bestandsaufnahme vornehmen.
Die erfassung der bestände erfolgt nach drei grundlegenden verfahren, die je nach art der vermögensgegenstände zur anwendung kommen:
Die körperliche inventur ist das klassische verfahren für alle physisch vorhandenen güter. Dabei werden alle waren, rohstoffe, hilfsstoffe und das bewegliche anlagevermögen durch zählen, wiegen und messen erfasst.
Durchführung der körperlichen bestandsaufnahme:
Systematisches zählen aller lagerbestände
Wiegen von schüttgütern und flüssigkeiten
Messen von längen, flächen oder volumen
Erfassung von maschinen, fahrzeugen und betriebsausstattung
Bei schwer zugänglichen oder nur mit unverhältnismäßigem aufwand zählbaren beständen ist eine schätzung zulässig. Diese muss jedoch nachvollziehbar dokumentiert und begründet werden.
Differenzen zwischen ist-bestand (tatsächlich gezählte menge) und soll-bestand (laut buchführung) müssen genau dokumentiert und untersucht werden. Solche abweichungen können auf schwund, diebstahl oder buchungsfehler hindeuten.
Die buchinventur kommt bei vermögensgegenständen und schulden zur anwendung, die nicht körperlich erfassbar sind. Dazu gehören:
Bankguthaben: erfassung über kontoauszüge
Forderungen: aufstellung über saldenlisten und rechnungen
Verbindlichkeiten: erfassung über offene rechnungen und saldenlisten
Immaterielle vermögensgegenstände: patente, lizenzen, goodwill
Bargeld wird trotz seiner physischen natur immer durch zählen erfasst, da das risiko von diebstahl oder unterschlagung eine buchmäßige erfassung nicht zulässt.
Für das anlagevermögen wie maschinen, fahrzeuge oder betriebsausstattung kann anstelle der jährlichen körperlichen aufnahme eine anlageninventur geführt werden. Diese basiert auf detaillierten anlagenkarten, die kontinuierlich gepflegt werden.
Die anlagenkarten enthalten:
Anschaffungsdaten und -kosten
Standort und verantwortliche abteilung
Abschreibungen und wertenwicklung
Umbuchungen und transfers
Geringwertige wirtschaftsgüter können von der anlageninventur ausgenommen werden. Bei leasinggegenständen ist die bilanzielle behandlung (on-balance oder off-balance) für die inventur-behandlung entscheidend.
Das handelsrecht erkennt vier verschiedene arten der inventur an, die unternehmen flexibilität bei der durchführung ermöglichen:
Die stichtagsinventur ist die klassische methode, bei der alle bestände exakt zum bilanzstichtag (meist 31. dezember) erfasst werden. Während der inventur werden die betroffenen bereiche geschlossen, um warenbewegungen zu verhindern.
Vorteile:
Eindeutige zuordnung zum stichtag
Einfache durchführung und kontrolle
Hohe rechtssicherheit
Nachteile:
Betriebsunterbrechung erforderlich
Hoher personalaufwand an einem tag
Schwierig bei großen lagerbeständen
Die stichprobeninventur erlaubt die mathematisch-statistische hochrechnung aus repräsentativen stichproben. Diese methode wurde 1977 erstmals bei der siemens ag eingesetzt und ist besonders für großunternehmen mit umfangreichen lagerbeständen geeignet.
Voraussetzungen:
Statistisch einwandfreie stichprobenverfahren
Repräsentative auswahl der inventurpositionen
Lückenlose dokumentation der methodik
Diese methode erfordert besondere fachkenntnisse und wird hauptsächlich von großunternehmen mit entsprechenden ressourcen eingesetzt.
Bei der permanente inventur wird die bestandsaufnahme über das gesamte geschäftsjahr verteilt. Voraussetzung ist eine lückenlose lagerbuchführung, die jederzeit den aktuellen bestand ausweist.
Grundsätze der permanenten inventur:
Jeder vermögensgegenstand muss mindestens einmal im geschäftsjahr körperlich aufgenommen werden
Kontinuierliche fortschreibung der bestände erforderlich
Nachprüfbarkeit aller lagerbewegungen
Nicht zulässig bei unkontrollierbaren abgängen (schwund, verderb)
Handelsrechtlich ist die permanente inventur für alle vermögensgegenstände zulässig, steuerrechtlich jedoch nur für warenbestände.
Die verlegte inventur erlaubt die durchführung bis zu drei monate vor oder zwei monate nach dem bilanzstichtag. Die bestände müssen dann wertmäßig auf den bilanzstichtag fortgeschrieben werden.
Anwendungsfälle:
Saisonale schwankungen der lagerbestände
Betriebliche erfordernisse (urlaubszeiten, hochsaison)
Sehr große lagerbestände, die nicht an einem tag erfassbar sind
Die wertmäßige fortschreibung muss alle zwischenzeitlichen zu- und abgänge sowie werteverfall berücksichtigen.
Eine erfolgreiche inventur erfordert sorgfältige planung und vorbereitung:
Terminplanung und organisation:
Festlegung des inventurstichtags und zeitrahmens
Einteilung des betriebs in inventurbereiche
Zuweisung von verantwortlichkeiten und teams
Vorbereitung der lagerflächen:
Aufräumen und sortieren der bestände
Kennzeichnung der inventurbereiche
Bereitstellung von inventurformularen oder mobile geräte
Sicherstellung der zugänglichkeit aller lagerpositionen
Personaleinweisung:
Schulung des inventurpersonals in den verfahren
Erklärung der inventur richtlinien und regeln
Vermittlung von techniken zur fehlervermeidung
Zuweisung von verantwortlichkeiten und bereichen
Der inventurleiter übernimmt die koordination und schließt die aufnahmebereiche. Die teams arbeiten dann systematisch die ihnen zugewiesenen bereiche ab.
Erfassungsprozess:
Genaue dokumentation aller mengen und arten
Kennzeichnung bereits erfasster bereiche
Kontinuierliche kontrolle durch aufsichtspersonen
Qualitätssicherung:
Stichprobenartige nachkontrollen
Kontrolle der vollständigkeit der erfassung
Sofortige klärung von unklarheiten
Dokumentation besonderer vorkommnisse
Nach abschluss der bestandsaufnahme folgen wichtige nachbereitungsschritte:
Dokumentenprüfung:
Kontrolle aller inventurformulare auf vollständigkeit
Prüfung der lesbarkeit und eindeutigkeit
Unterschrift und freigabe der inventurbereiche
Sicherung aller inventarunterlagen
Bewertung und aufbereitung:
Wertmäßige bewertung des inventars nach bewertungsgrundsätzen
Addition der werte zur ermittlung des gesamtvermögens
Abgleich mit den buchbeständen
Klärung und dokumentation von differenzen
Die inventarunterlagen müssen zehn jahre aufbewahrt und für prüfungen zugänglich gemacht werden.
Verschiedene arten von vermögensgegenständen erfordern spezielle behandlung bei der inventur:
Fertigerzeugnisse werden zu herstellungskosten bewertet, wobei keine verkaufspreise oder gewinnaufschläge berücksichtigt werden dürfen. Unfertige erzeugnisse sind entsprechend ihrem fertigstellungsgrad zu bewerten.
Materialien wie heizöl, verpackungsmaterial oder benzin müssen genau gemessen und nach anschaffungskosten bewertet werden. Bei verbrauchsmaterialien ist auf das prinzip der vorsicht zu achten.
Bei kommissionsgeschäften ist wichtig zu unterscheiden:
Eigene ware im fremden lager: gehört zum eigenen vermögen
Fremde ware im eigenen lager: gehört nicht zum eigenen vermögen
Die eigentumsrechtliche zuordnung bestimmt die inventur-behandlung.
Waren mit werteverfall müssen entsprechend abgeschrieben werden. Völlig wertlose güter sind auf null abzuschreiben und gegebenenfalls physisch zu entsorgen.
Bei ware im transit ist das eigentum am stichtag entscheidend. Die eigentumsübertragung richtet sich nach den vereinbarten lieferbedingungen (incoterms wie fob, cif etc.).
Der hauptzweck liegt im vergleich zwischen den in der buchführung erfassten beständen und den tatsächlich vorhandenen vermögensgegenständen und schulden. Differenzen können auf verschiedene ursachen hindeuten:
Schwund: natürlicher verlust durch verdunstung, austrocknung
Diebstahl: verluste durch interne oder externe diebstähle
Buchungsfehler: falsche erfassung von zu- oder abgängen
Beschädigungen: wertminderung durch transport- oder lagerschäden
Das inventar bildet die faktische grundlage für die bilanz. Nur durch die inventur kann sichergestellt werden, dass die bilanz das tatsächliche vermögen und die schulden des unternehmens widerspiegelt.
Die inventur dient dem schutz der gläubiger, da sie die bewertung von sicherheiten ermöglicht. Gleichzeitig ist sie ein wichtiges instrument der unternehmenskontrolle zur aufdeckung von unwirtschaftlichkeiten.
Regelmäßige inventuren sind ein wesentlicher baustein ordnungsgemäßer buchführung und helfen bei der aufdeckung systematischer fehler im rechnungswesen.
Die inventur definition umfasst weit mehr als eine bloße pflichtübung nach dem hgb. Sie ist ein fundamentales instrument für die steuerung und kontrolle von unternehmen jeder größe. Von der klassischen stichtagsinventur bis hin zu modernen verfahren wie der permanente inventur bietet das deutsche handelsrecht flexible möglichkeiten für eine ordnungsgemäße bestandsaufnahme.
Erfolgreiche unternehmer erkennen in der inventur nicht nur eine rechtliche verpflichtung, sondern nutzen sie als chance zur optimierung ihrer lagerhaltung und als grundlage für fundierte geschäftsentscheidungen. Die sorgfältige planung und durchführung der bestandsaufnahme zahlt sich durch verbesserte transparenz, bessere kontrolle und letztendlich höhere rentabilität aus.
Investieren sie in eine professionelle inventur-planung und nutzen sie die verschiedenen inventurarten optimal für ihr unternehmen. Bei komplexen sachverhalten sollten sie nicht zögern, externe experten hinzuzuziehen, um rechtssicherheit und optimale ergebnisse zu gewährleisten.